Die Traumzeit ist ein zentraler Begriff der Aborigines Australiens und beschreibt eine mystische Dimension der Realität, die sowohl die Schöpfung als auch die fortwährende Existenz von Menschen, Tieren, Pflanzen und der Erde umfasst. Sie ist nicht nur ein Mythos oder eine Erzählung, sondern vielmehr ein metaphysisches Konzept, das die zeitliche und räumliche Struktur des Universums im aboriginalen Weltverständnis erklärt.
In der Traumzeit erschufen die spirituellen Vorfahren, oft als Schöpferwesen oder Ahnen beschrieben, die Welt, ihre Landschaften und alle Lebewesen. Diese Wesen, die als Traumzeit-Wesen bekannt sind, durchstreiften die Erde und formten alles, was existiert, indem sie Gebirge, Flüsse, Tiere und Pflanzen in ihrem Traum erschufen. Die Traumzeit ist damit ein ewiger Zustand, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen. Sie beschreibt die Zeit des Entstehens und Werdens, aber auch die zeitlose Existenz, die in allen Dingen weiterlebt.
Die Traumzeit als lebendige Realität ist für die Aborigines keine abgeschlossene Epoche, sondern eine fortwährende, lebendige Erfahrung, die im hier und jetzt fortbesteht. Sie wird in Erzählungen, Ritualen und Zeremonien immer wieder ins Leben gerufen. Für die Aborigines ist der Traum ein Zustand der Transzendenz und der göttlichen Realität, in dem sich die spirituelle und materielle Welt miteinander vermischen.
Schöpfung der Welt: In der Traumzeit wurden nicht nur Menschen und Tiere erschaffen, sondern auch die geografische Struktur der Erde. Berge, Täler, Flüsse und Ozeane sind somit nicht nur natürliche Gegebenheiten, sondern auch lebendige Erinnerungen an die Taten der Ahnen.
Zeit und Raum: In der Traumzeit gibt es keine klare Unterscheidung zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Die Traumzeit ist nicht linear, sondern ein Zustand, der gleichzeitig alles umfasst. Sie ist eine zeitlose Ebene, auf der die Welt immer wieder neu erschaffen wird.
Spirituelle Präsenz: Die Ahnengeister, die die Traumzeit prägten, sind immer noch gegenwärtig und durchdringen alles, was existiert. Diese Geister können als Beschützer oder als Lehrer auftreten und geben den Menschen Hinweise auf den richtigen Weg, wie sie im Einklang mit der Natur und den spirituellen Gesetzen leben können.
Traum als Zugang zur Wahrheit: Der Traum ist ein Tor zu den spirituellen Ebenen. Während des Traums ist der Mensch mit der Traumzeit verbunden und kann auf tiefe Weisheiten zugreifen. In diesem Zustand können die Aborigines Einblicke in die Zukunft, die Vergangenheit und die spirituelle Welt erhalten.
Rituale und Zeremonien: Um den Kontakt zur Traumzeit zu wahren, spielen Zeremonien und Rituale eine zentrale Rolle im Leben der Aborigines. Diese beinhalten oft Tanz, Gesang und Kunst, um die Ahnen und deren Schöpfungskraft zu ehren und sich mit der Traumzeit zu verbinden.
Die Traumzeit hat tiefgreifende Bedeutung für das aboriginale Weltverständnis. Sie betont die Verbundenheit aller Dinge – die Menschen, Tiere, Pflanzen und das Land sind miteinander verbunden und teilen eine gemeinsame spirituelle Essenz. Alles, was existiert, ist Ausdruck dieser erhabenen Realität, die untrennbar mit den Ahnen und deren Handeln verbunden ist.
In der Traumzeit wird auch das Konzept des "Alcheringa" thematisiert, was so viel wie „die Zeit der Ahnen“ bedeutet. Es ist die Ursprungskraft, die sowohl das Leben erschaffen hat als auch das fortlaufende Leben erhält. Diese schöpferische Energie ist nicht auf einen einmaligen Akt beschränkt, sondern wird in jedem Moment neu geschaffen und erneuert.
Für die Aborigines ist die Traumzeit kein abstrakter Begriff aus der Vergangenheit, sondern eine fortwährende und allgegenwärtige Wirklichkeit. In der modernen Welt wird die Traumzeit häufig als ein Symbol für spirituelle Tiefe und die Verbindung zu einer ursprünglichen Weisheit verstanden, die den Zugang zu einem ganzheitlicheren Verständnis des Lebens öffnet. Die Traumzeit lädt dazu ein, das Verborgene zu sehen, das hinter der sichtbaren Welt liegt, und die verborgene Ordnung in der Natur und im Universum zu erkennen.
Die Traumzeit ist mehr als nur eine mythologische Erzählung der Aborigines – sie ist das Herzstück ihrer spirituellen Weltanschauung, die die Schöpfung, das Leben und die Zeit als fließende, miteinander verwobene Kräfte begreift. Sie lehrt uns, dass alle Dinge miteinander verbunden sind, dass die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verwoben sind, und dass spirituelle Wahrheiten jenseits der oberflächlichen Wahrnehmung des Alltags existieren, in einem zeitlosen Traum der Schöpfung.