Via negativa (lat. „der negative Weg“) ist ein Konzept aus der theologischen Philosophie, insbesondere aus der mystischen Theologie. Es bezeichnet einen Ansatz, durch den das Göttliche oder Transzendente beschrieben wird, indem man negativ angibt, was Gott nicht ist. Statt spezifischer Aussagen über die positiven Eigenschaften Gottes wird hier die Unbestimmtheit und die Transzendenz Gottes betont, indem man alle menschlichen Vorstellungen und Eigenschaften von Gott entfernt.
Der negative Weg besteht darin, dass die unendliche und unbegreifliche Natur Gottes nicht direkt oder vollständig beschrieben werden kann. Jede positive Eigenschaft oder Beschreibung würde Gottes wahre Essenz auf eine begrenzte, menschliche Wahrnehmung reduzieren. Daher wird in der Via negativa auf Begriffe wie „gut“, „gerecht“ oder „mächtig“ verzichtet und stattdessen gesagt, dass Gott nicht dies oder jenes ist. Das Ziel ist, das Göttliche als unfassbar und unbeschreiblich zu erkennen.
Gott als unbeschreiblich: Ein häufiges Beispiel ist die Formulierung „Gott ist nicht beschreibbar“ oder „Gott ist jenseits aller menschlichen Begriffe“. Auf diese Weise erkennt man an, dass der menschliche Verstand und die Sprache nicht ausreichen, um Gott vollständig zu fassen.
Nicht-Gegensätze: In der mystischen Theologie wird Gott oft als nicht-dualistisch und jenseits aller Gegensätze beschrieben. Es wird etwa gesagt, dass Gott weder gut noch böse, weder endlich noch unendlich im herkömmlichen Sinn ist. Diese Negation von Polaritäten soll verdeutlichen, dass Gott alle Begriffe transzendiert.
Beispiel aus der Bibel: In der Bibel gibt es mehrere Stellen, in denen Gott mit negativen Begriffen beschrieben wird. Zum Beispiel im Buch Jesaja (55:8-9): „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege.“ Dies verweist auf die Differenz zwischen der menschlichen Wahrnehmung und der göttlichen Transzendenz.
Erfahrungen der mystischen Tradition: In der christlichen Mystik und bei anderen spirituellen Traditionen wie dem Hinduismus oder dem Buddhismus ist die Via negativa eine Methode, durch die der Gläubige zu einer direkten Erfahrung des Göttlichen oder der göttlichen Realität gelangen kann. Die mystische Erfahrung wird oft als eine Art Einswerdung mit dem Unbeschreiblichen verstanden, bei der man alle weltlichen Begriffe und Vorstellungen ablegt.
Johannes vom Kreuz: Ein berühmter Vertreter der Via negativa ist der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz (1542–1591). Er spricht von der dunklen Nacht der Seele, einem Zustand, in dem der Gläubige durch das Abwerfen von weltlichen Bindungen und Vorstellungen von Gott hindurchgeht. Diese „dunkle Nacht“ ist eine Art spirituelle Reinigung, in der die Seele von allen limitierten und irdischen Vorstellungen befreit wird, um Gott in seiner wahren, unbegreiflichen Essenz zu erfahren.
Niketas Stethatos: Auch der byzantinische Theologe Niketas Stethatos (um 1000–1090) ist ein bedeutender Vertreter dieser Tradition. Er beschrieb die Gotteserfahrung als eine Erkenntnis des Göttlichen, die durch Abwesenheit und Leere gekennzeichnet ist, die zu einem tieferen Verständnis führen.
Neoplatonismus und Pythagorismus: Auch in der neoplatonischen und pytagoräischen Philosophie gibt es ein ähnliches Konzept, das die Unmöglichkeit betont, das Unendliche oder das Göttliche in begrenzte oder menschliche Kategorien zu fassen. Plotin, einer der bedeutendsten Denker des Neoplatonismus, sprach von dem „Einigen“, das jenseits aller Definitionen und Dualitäten liegt.
Es gibt auch den komplementären Ansatz, der als via positiva bekannt ist, wobei der Fokus darauf liegt, positive Aussagen über Gott zu machen, wie zum Beispiel „Gott ist Liebe“ oder „Gott ist allmächtig“. In der via negativa wird hingegen betont, dass man sich von jeglichen positiven oder begrenzten Attributen entfernen muss, um der wahren Natur Gottes näherzukommen.
Beide Wege sind nicht gegensätzlich, sondern ergänzen sich oft in mystischen und theologischen Traditionen. Die via negativa hilft dabei, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis zu erkennen und Gottes unermessliche Transzendenz zu würdigen, während die via positiva positive Erfahrungen und geistige Transformation fördert.
Die via negativa ist ein theologischer und mystischer Ansatz, der betont, dass Gott nur durch die Negation aller menschlichen Vorstellungen und Begriffe erkannt werden kann. Diese „negative“ Beschreibung macht deutlich, dass das Göttliche unermesslich und unbeschreiblich ist, jenseits aller menschlicher Begriffe und Wahrnehmungen. Durch die Negation von Attributen wie „gut“ oder „mächtig“ versucht die via negativa, das Göttliche in seiner reinen und unbegrenzten Form zu erfassen. Diese Herangehensweise findet sich in vielen mystischen Traditionen, unter anderem im Christentum, Neoplatonismus und anderen spirituellen Lehren.